Notion – Ordnung im Kopf? Oder nur ein weiteres digitales Versprechen?

Seit Jahren wabert es durchs Netz wie der feuchte Traum aller Produktivitäts-Apostel: Notion. Kein neues Tool, sondern der Vorreiter einer ganzen Denkschule. Und trotzdem – oder gerade deshalb – wirkt es auf viele noch immer wie ein Mysterium. Ist es eine Notiz-App? Ein Projektmanager? Ein Second Brain? Oder doch nur ein leerer Raum, der mit Erwartungen überfüllt wird?
Egal, wie du’s drehst: Notion polarisiert. Die einen verehren es, als wäre es das letzte Werkzeug vor dem mentalen Kollaps. Die anderen öffnen es, starren zehn Sekunden auf die Oberfläche – und schließen es wieder mit einem leisen Gefühl des Versagens. Denn: Notion verzeiht keine Unklarheit im Kopf. Es ist gnadenlos – und genau darin liegt seine Schönheit.
Warum Notion? Und warum zum Teufel jetzt noch ein Tool?
Notion ist nicht einfach ein weiteres Tool. Es ist ein Betriebssystem für Gedanken – oder für das, was davon übrig bleibt, nachdem du drei Stunden lang ein Cover-Bild ausgesucht hast.
Aber halt: Das soll kein Tool-Bashing sein. Ganz im Gegenteil. Ich liebe dieses Ding. Vielleicht zu sehr. Weil Notion dir das gibt, was der Alltag dir verweigert: das Gefühl von Kontrolle. In einer Welt, in der alles gleichzeitig passiert, bietet dir Notion ein weißes Blatt, das sagt: „Mach, was du willst.“
Und genau das ist das Problem – und gleichzeitig die Magie.
Was Notion wirklich ist – und warum du es brauchst (auch wenn du es noch nicht weißt)
Notion ist ein digitaler Alleskönner. Du kannst mit einer simplen Notiz starten – und drei Stunden später ein vollständiges Projekt-Management-System daraus gemacht haben. Klingt verrückt? Ist es auch.
Hier ein paar Dinge, die du in Notion bauen kannst:
- Notizen & Protokolle: Wie in einem klassischen Notizbuch, aber mit Links, Emojis und Drag-&-Drop.
- To-do-Listen & Aufgabenplaner: Minimalistisch oder komplex mit Deadlines, Prioritäten, Tags.
- Datenbanken: Tabellen, Boards (á la Trello), Kalender, Galerien. Alles miteinander verknüpfbar.
- Wikis & Handbücher: Für dich selbst, dein Team, deine Familie. Ja, auch Omas Marmeladenrezepte gehen hier systematisch.
- Tagebuch, Zettelkasten, Second Brain: Notion eignet sich hervorragend für digitale Denksysteme.
- Contentplanung: Social Media, Newsletter, Blog – alles vernetzt, alles durchdacht.
- CRM oder Inventar: Kundenlisten, Bücherregale, Gerätekataloge – du bestimmst, was das System kann.
Und das Beste: Alles lebt in einem System. Keine App-Wechsel. Kein Copy & Paste von Evernote zu Trello zu Google Sheets. Alles. In. Notion.
Die erste Seite: Zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Du öffnest also eine leere Seite. Weiß. Rein. Versprechen. Und dann – nichts. Cursor blinkt. Du auch. Vielleicht ist das der Moment, in dem du realisierst, dass nicht die Tools das Problem sind. Sondern du.
Aber gut. Wir starten einfach. Wir nennen die Seite „Startseite“ – nicht, weil das clever ist, sondern weil wir ehrlich sind. Und dann tippen wir. Ein paar Worte. Ein Titel. Ein Gedanke. Der Anfang.
Und dann? Dann kommen die Goodies.
Icons, Cover und andere kosmetische Korrekturen der Wirklichkeit
Notion lässt dich Icons hinzufügen. Für den Überblick. Oder fürs Ego. Ein Emoji als Identität deiner Seite. Du nimmst das Lama. Warum nicht. Das Lächeln täuscht Struktur vor. Dazu ein Cover – am besten irgendwas Abstraktes, von Unsplash. Technik trifft Ästhetik trifft Desillusion.
Und schon sieht deine Seite aus wie das Konzept eines Konzepts. Noch nichts drin, aber optisch bereits ein Statement.
Textgestaltung: Formatieren, bis der Sinn erscheint
Du kannst den Text fett machen. Oder kursiv. Oder durchgestrichen, wenn du zugeben willst, dass das alles vielleicht doch Quatsch ist. Du kannst Schriftarten ändern – Serif für Tiefe, Mono für Hacker-Gefühle, Standard für alle, die sich noch nicht entschieden haben, wer sie sind.
Absätze verschieben. Überschriften setzen. To-do-Checkboxen einbauen. Toggle-Elemente für Geheimniskrämer. Callout-Boxen für Lautsprecher. Alles da.
Notion ist Markdown mit Stil. Und der Stil ist wandelbar.
Datenbanken: Der Punkt, an dem sich alles verändert
Hier fängt die Obsession an. Notion-Datenbanken sind keine klassischen Tabellen. Sie sind modular, verlinkbar, filterbar, sortierbar. Du kannst:
- Eine Buchliste mit Bewertungssystem führen
- Eine Ideenliste mit Tags und Statusfeldern bauen
- Aufgaben nach Projekten und Personen organisieren
- Deine Rechnungen nach Monat filtern und exportieren
Und das Beste: Jede Zeile in einer Datenbank ist selbst wieder eine Seite. Mit Text. Bildern. Subdatenbanken.
Ein bisschen wie Excel auf LSD. Nur hübscher.
Kommentare und Backlinks: Kommunikation trifft Struktur
Notion ist kein Social Network. Aber du kannst kommentieren – auf Seiten, Absätze, einzelne Wörter. Perfekt für Teamarbeit oder deine innere Stimme.
Und wenn du im Team arbeitest, kannst du Kommentare sogar in Slack pushen – mit der passenden Integration. Ping! Und schon weiß dein Kollege im Slack-Channel „Wir-machen-was-mit-Inhalt“, dass du seine Prioritätenliste in Frage stellst. Kommunikation auf leisen Sohlen, aber mit Echo.
Oder – radikaler gedacht – lass Notion gleich dein Slack sein. Statt endlose Threads voller Halbgedanken: Kommentare direkt an den Dingen, um die es geht. Struktur statt Scrollen. Inhalte statt Chatter.
Und dann: Backlinks. Verlinke von A nach B – und sieh bei A, dass B dich erwähnt. Eine Art persönliches Wikipedia – nur dass du hier selbst entscheidest, was wahr ist.
Navigation und Verschachtelung: Das Brotkrumen-Prinzip für Denkende
In Notion kannst du Seiten in Seiten verschachteln. Das klingt banal, ist aber philosophisch: Turtles all the way down. Struktur entsteht durch Tiefe.
Du bekommst Breadcrumbs. Du bekommst Hierarchien. Du bekommst das Gefühl: Ich bin nicht verloren – nur tief drin.
Aber: Notion ist kein starres System. Es ist ein Werkzeug für Denkende. Du kannst alles flach halten oder alles verzweigen. Du entscheidest. Und wirst dabei etwas über dich lernen.
Wirklich smart: Templates und das Baukasten-Prinzip
Du musst das Rad nicht neu erfinden. Notion bietet Templates – für alles Mögliche.
- Journals
- Projekt-Tracker
- Habit-Tracker
- Personal CRMs
- Bewerbungsmanager
- Redaktionspläne
Du kannst sie nutzen. Oder anpassen. Oder eigene Templates bauen. Der Clou: Wenn du ein System hast, das für dich funktioniert, kannst du es mit einem Klick überall anwenden.
Fazit: Notion ist kein Tool – es ist ein Spiegel
Notion zeigt dir nicht nur, was du organisieren willst. Es zeigt dir, wie du denkst. Chaotisch, linear, obsessiv, fragmentiert. Es spiegelt deinen inneren Zustand – ungefragt, aber ehrlich. Und vielleicht liegt darin seine wahre Stärke.
Nicht, dass du plötzlich produktiver wirst. Sondern dass du endlich mal siehst, wie du funktionierst. Und daraus etwas machst.
Denn in einer Welt, in der dir alles um die Ohren fliegt, kann ein bisschen Ordnung Gold wert sein – auch wenn sie nur digital ist. Oder gerade deshalb.
Auf einen Blick – was auch du mit Notion machen kannst
- ✅ Gedanken strukturieren – ohne kreative Grenzen
- ✅ Projekte planen – allein oder im Team
- ✅ Wissen sammeln – als Zettelkasten, Wiki oder Linkarchiv
- ✅ Aufgaben managen – mit System, aber ohne Dogma
- ✅ Daten organisieren – Tabellen, Kalender, Boards
- ✅ Prozesse abbilden – wiederholbar und flexibel
- ✅ Inhalte gestalten – klar, visuell, miteinander verknüpft
- ✅ Lernen, reflektieren, denken – in deinem Tempo
Und das alles beginnt – mit einer leeren Seite.